1999 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshof in einer Gruindsatzentscheidung Mindeststandards für wissenschaftliches
aussagepsychologisches Gutachten formuliert.
Auslöser waren die Wormser-Missbrauchsverfahren Mitte der 90er Jahre eingeholten aussagepsychologischen Gutachten, die allesamt erhebliche methodische Mängel enthielten.
da sie die massiven Suggestioneffekte zu allen Kinderaussagen nicht erkannten. Alle 25 Angeklagten wurden freigesprochen.
Erstmals hat sich die Justiz mit der wissenschaftlichen hypothesengeleitenten Aussagebeurteilung befasst, dem sog. Nullhypothen-Prinzip.
.
Mit der Grundsatzentscheidung war der Weg frei für Methodenkritik gegen fehlerhafte aussagepsychologische Gutachten - hier im GUTACHTENCHECK.
BGH GRUNDSATZENTSCHEIDUING
BGH, Urt. vom 30.07.1999 - 1 StR 618/98
Leitsatz
Wissenschaftliche Anforderungen an aussagepsychologische
Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten).
Auszug
Begutachtung
Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung ist - wie sich bereits aus dem Begriff ergibt - nicht die
Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Untersuchten im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft. Es geht vielmehr um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben
zutreffen, d. h. einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (Gutachten Prof. Dr. Steller; s. auch Herdegen aaO Rdn. 31). Den dafür bestehenden methodischen Mindeststandards
entspricht die hier vorgenommene Begutachtung der Zeugin nicht.
a) Das
methodische Grundprinzip besteht darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten
Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der Sachverständige nimmt daher bei der Begutachtung zunächst an, die Aussage sei unwahr (sog.
Nullhypothese). Zur Prüfung dieser Annahme hat er weitere Hypothesen zu bilden. Ergibt seine Prüfstrategie, daß die Unwahrhypothese mit den erhobenen Fakten nicht mehr in Übereinstimmung
stehen kann, so wird sie verworfen, und es gilt dann die Alternativhypothese, daß es sich um eine wahre Aussage handelt.
Die Bildung relevanter Hypothesen ist daher von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien
einen wesentlichen, unerläßlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar
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